June 21, 2010

Der Zeitungsladen vom Apfelkonzern


05/26'10 Mario Sixtus fürs ZDF-Auslandsjournal: Steve Jobs – der digitale Diktator?

Wenn Steve Jobs ein neues Konsum-Produkt vorstellt, schwingt stets etwas religiöses mit. Jobs Präsentationen folgen einer präzisen Choreographie – irgendwo zwischen Gottesdienst und Teleshopping. Ein brillanter Verkäufer war Steve Jobs schon immer, erinnert sich Steve Wozniak. Die beiden gründeten das Unternehmen 1976 ganz stilecht in einer Garage. Wozniak:

"Ich habe mein Leben lang mit Computern herumgespielt und fing irgendwann an, selber welche zu entwerfen und zu bauen. Ein Modell war schließlich gut genug, um damit zu arbeiten und zu spielen. Ich verschenkte es. Dann war da noch mein bester Freund, der bei vielen Technikprojekten dabei war. Fast jedes Mal wenn ich etwas baute, fand er einen Weg um es zu verkaufen. Das war Steve Jobs."

Steve Jobs' Rolle war also die des Verkäufers.
Um die Wirkung seiner Präsentation zu erhöhen, soll er zuvor den Medien gezielt falsche Informationen zugesteckt haben. Im Fall des iPad verbreitete das Wallstreet Journal einen deutlich höheren Verkaufspreis.
John Martellaro (ehemaliger Apple-Marketing-Manager):

"Ich las den Artikel im Wallstreet Journal und sagte, ja genau, diese Taktik habe ich damals für Apple benutzt. Es ist eine kontrollierte Indiskretion: ein Testballon, um der Technikmesse CES den Wind aus den Segeln zu nehmen, um die Leute neugierig auf das iPad zu machen und um herauszufinden, wie die Öffentlichkeit auf den kolportierten Preis von 1.000 US Dollar reagiert."

"Think different, denkt anders," lautete lange Zeit der Apple-Werbespruch. In diesem Clip aus dem Orwell-Jahr 1984 inszenierte sich der Konzern selbstbewusst als einsamer Kämpfer für Freiheit und Individualismus. Von dieser Philosophie scheint heute nicht mehr viel übrig zu sein. Wie kein anderer Hersteller vergleichbarer Unterhaltungsgeräte kontrolliert der Apfelkonzern, was die Käufer damit tun dürfen und was nicht.
Die in Boston lebende Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel kritisiert außerdem:

"Wenn man bösartig sein will, könnte man schon sagen, dass Apple so 'ne Art Internet-Disneyland aufbaut. Oder im deutschen Kontext, dass Apple so 'ne Art Neckermann-Pauschalreise durchs Web anbietet: Man bucht über Apple, man hat 'n Apple-Reiseführer, man hat die Apple-Informationen, man fährt nur an Apple-Orte, und die Apple-Portiers sagen, ob man rein darf oder nicht und was man mitnehmen darf und wieviel es kostet."

Die einzige Möglichkeit, neue Programme, die man hier Apps nennt, auf iPhone oder iPad zu installieren, bietet der digitale Kiosk namens App-Store, über dessen Sortiment Apple allein entscheidet. An diesem Grenzübergang müssen Entwickler ihre Software untersuchen lassen. So lassen sich natürlich Viren und andere digitale Schädlinge von den Tablets fernhalten – oder auch unliebsame Programme der Konkurrenz.
David Weinberger:

"Es ist ganz offensichtlich, dass Apple nicht nur Programme ausschließt, die das Gerät gefährden könnten, sondern auch solche, die Apples Marktposition gefährden könnten."

Nach "think different" klingt das alles nicht mehr. Das gibt selbst Apple-Mitgründer Steve Wozniak zu:

"Es könnte sein, dass wir den Leuten, die unsere Produkte kaufen, eine Art und Weise zu denken anbieten wollen. Das ist ein Problem großer Unternehmen: Es ist einfacher für ein gutes Erlebnis zu sorgen, wenn man in diesem Sinne Freiheiten einschränkt."

Geradezu begeistert von Apples Kontrollpolitik in Verbindung mit dem schicken iPad zeigen sich viele Zeitungsverleger. In einer amerikanischen Talkshow (Charlie Rose) ließ sich Springer-Chef Mathias Döpfner gar zu dieser Aussage hinreißen:

"Ich denke, jeder Verleger sollte einmal am Tag beten, um Apple-Chef Steve Jobs dafür zu danken, dass er die Zeitungsindustrie rettet."

Der Grund für soviel Euphorie: Apples elektronischer Kiosk soll die Internetgeneration dazu bringen, für digitale Ausgaben von Zeitungen zu bezahlen. Zwar besitzt das iPad auch einen Browser und bietet somit Zugang zum Internet, trotzdem hoffen die Verleger, Apples Zeitungsladen könne ihnen helfen, ihre Kassen zu füllen. Aber Steve Jobs verlangt nicht nur 30% Umsatzbeteiligung, sondern, so beklagen Kritiker, er wünscht sich seine virtuellen Verkaufsfläche als Ebenbild eines amerikanischen Shoppingcenters. Sicher, sauber und familienfreundlich.
Weinberger:

"Der App-Store verbannt alles, was anzüglich sein könnte. Er verwandelt Apple-Geräte in kindersichere Geräte. Das ist großartig für Kinder, aber einige von uns sind keine Kinder."

So kommt es, dass puritanisch-amerikanische Moralvorstellungen plötzlich im fernen Deutschland eine Rolle spielen und dort eine interessante Wirkung entfalten.
Donata Hopfen ("Bild Digital"):

"Wir haben von Anfang an wissend in Kauf genommen, dass wir uns an der ein oder anderen Stelle einschränken müssen, was wir nicht gerne tun, aber was wir für diese Infrastrukturbedingungen dann getan haben. Es betrifft explizite Fotos, die in den USA so nicht akzeptiert werden von Apple."

Meckel:

"Es gibt hier im Moment das geflügelte Wort, das man überall hören kann, wenn man fürs iPad ein App produzieren will, dann muss man "die Iran-Version" kreieren, und das sagt, glaub ich, unter Gesichtspunkten der Zensur und der politischen Anpassungsfähigkeit schon ziemlich viel aus."

In weggeblitzten Oberweiten mag man noch keinen Großangriff auf die Pressefreiheit sehen, der Zensurtempel der App-Store-Hausmeister traf jedoch auch schon ganz andere. So kritisieren viele, dass der Cartoonist Mark Fiore mit seiner App von Apple abgelehnt wurde und erst nach der Auszeichnung mit dem Pulitzer-Preis Einlass in den digitalen Kiosk fand.
Meckel:

"Ich persönlich muss sagen, ich möchte mich nicht drauf verlassen müssen, dass jemand erst den Pulitzer-Preis bekommen muss, bevor er die Möglichkeit hat zu publizieren auf Kommunikationsgeräten, die eben den Zugang zum Netz ermöglichen."

Derweil fragen sich Kritiker, welche Inhalte Steve Jobs wohl als nächstes von seinen Tablet-Rechnern verbannen könnte. Weinberger:

"Kriegsbilder können auch sehr verstörend auf Kinder wirken. Viele Ideen können verstörend auf Kinder wirken. Oder auf Apple? Es ist letztlich egal, der Punkt ist, wir müssen das diskutieren, wir müssen kritisch hinterfragen, was Apple auf unsere Computer und unsere Lesegeräte lässt."

Gerne hätten wir darüber mit Apple diskutiert, aber das Unternehmen war leider zu keiner Stellungnahme bereit.
Den Slogan "think different", denkt anders, verwendet Steve Jobs schon länger nicht mehr. Diese Youtube-Parodie liefert einen Vorschlag für eine zeitgemäße Variante:

"Think like us – denkt wie wir."